2016: Griechische Heldinnen am St.-Josef-Gymnasium Biesdorf

(OtR) Kam der griechische Zuschauer der Antike in den Genuss von drei Tragödien und einem Satyrspiel pro Tag, so hat die Biesdorfer Theater-Truppe „Ludigaudens“ unter der Leitung von Christine Conradt mit einer Tragödie und einer Komödie an einem Abend dazu ein gutes Verhältnis gefunden. Mit Sophokles’ ‚Antigone’ und Aristophanes’ ‚Lysistrate’ kam jeder auf seine Kosten, unabhängig ob er es ernst und gravitätisch oder heiter und leicht mag.  Während  Antigone (klassisch tragisch: Helena Vogel) mit der verbotenen Beerdingung ihres Bruders ihr Leben riskiert, ersinnt Lysitrate (liebenswert intrigant: Rebecca Zender) einen überaus einfachen, doch genialen Plan zur Beendigung eines gesamtgriechischen Krieges. Legt sich Antigone mit Kreon (gut bürgerlich-demagogisch: Lukas Schmitz; mancher Zuschauer dachte, es sei Donald Trump) an, der eben erst den Königsthron der Stadt Theben usurpiert hat, so nehmen es die griechischen Frauen gleich mit allen ihren Männern auf.

 

Düster und ernst die Stimmung in Antigone, das Bühnenbild puristisch. Lediglich zwei große rote Stofftücher verweisen zum einen auf die gesetzgebende Macht des Kreon, zum anderen auf das blutige Ende der Tragödie. Schwarz auch der eindrucksvolle Chor, der sowohl aus dem Off als auch auf der Bühne agiert. Finster die Parzen (Lea Moos, Anna-Lena Berg, Anna Nosbüsch), die fleißig am dürren Schicksalsfaden des thebanischen Königshauses weben, um ihn schließlich pathetisch durchzuschneiden. Ismene (Angelina Roth/Anne Vogel) wankt unentschieden zwischen den Parteien, während Kreons Sohn Haimon (Emil Jackel/Maxim Rosin) versucht, mit Vernunft gegen seinen Vater zu argumentieren. Zur Tragödie gehört der dramatische Schluss, der dem Haus des Kreon  das Ende bereitet.

 

Passend zum Krieg spartanisch auch das Bühnenbild der „Lysistrate“, knallig bunt dagegen die Kleidung und die Requisiten, die Handlung auf einen fernen Planeten verlegt. Die athenischen Frauen haben sich mit star-trekigen Gold-Röcken schick für ihre Männer gemacht und verteidigen ihre extraterrestrische Akropolis eifrig mit Wasserpistolen gegen ihre andrängenden, mit Fahrradhelmen bewaffneten Männer, die offenbar schon jenseits der Midlife-Crisis sind. Lysistrate gewährt schließlich Myrrhine (voll Wonne falsche Hoffnungen weckend: Elisabeth Pick), deren Ehemann bis zum letzten zu reizen, ohne es jedoch zum ehelichen Vollzug kommen zu lassen. Und Myrrhine kocht ihren Gatten Kinesias (wie gewohnt  tragikomisch bis zum Anschlag: Jan Wittmer) mit endlosen Verzögerungen weich. Lampito (mechanisch wie ein Cyborg: Pia Hettinger) verkündet den Durchbruch der Strategie in Sparta, und auch die athenischen Männer wollen nicht mehr länger im unfreiwilligen Zölibat verharren. Also wird der Krieg beendet und Männlein und Weiblein machen irgendwo im Universum zusammen ein Fass regionalen Eifelbieres auf. Alles mündet in eine Orgie.

 

Zwei starke Frauen, die – ohne ihre Weiblichkeit zu verleugnen – der Männerwelt ihre Grenzen aufzeigen. Die Stücke hätten von der Regisseurin Christine Conradt nicht aktueller gewählt werden können. Und die Truppe von „Ludigaudens“ hat die Vorlage dankbar angenommen und bestens umgesetzt. Mehr davon!

 


 

2015: „Macheath – Zwischen Petticoat und Galgenstrick“

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(OtR) „Die Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht kennt jedermann. Ihre Vorlage, die „Bettleroper“ von John Gay aus dem frühen 18. Jahrhundert, ist schon nicht mehr ganz so populär. Doch um die Bearbeitung der „Bettleroper“ durch Ingo Sax (*1940) zu kennen, da muss man schon ein echter „Theater-Freak“ sein.

Christine Conradt, Regisseurin der Theater-AG „Ludigaudens“ am Privaten St.-Josef-Gymnasium, ist so ein „Theater-Freak“ und gräbt – sehr zur Freude der Zuschauer – solche Stücke aus: Der Straßenräuber Macheath, herrlich interpretiert von Lasse Kolb (23./25.5.), Marcel Dichter (28.5.) und Dennis Büttner (29.5.), heiratet Polly (furios: Maren Weil, Natascha Neises), Tochter des führenden Londoner Gangsterchefs Peachum (Frank Hormesch, Lukas Schmitz). Von diesem gefangen gesetzt, wird Macheath von seiner verflossenen Liebschaft Lucy (Lise Kremer, Rebecca Zender) mit der Tatsache ihrer (vorgetäuschten) Schwangerschaft konfrontiert. Unversehens sieht sich Macheath vor die Wahl zwischen Polly, Lucy und dem Galgen gestellt.

Eine „Schlüsselrolle“ im wörtlichen Sinne kommt dabei dem Gefängniswärter Lockit (feinsinnig interpretiert von Klaus Müller und Lukas Schmitz) zu. Intrigant und auf das Familienwohl bedacht, zieht Mrs. Peachum (sehr überzeugend: Helena Vogel und Lena Schuh, dabei überaus stimmungsvoll mit ihren Gesangseinlagen) im Hintergrund die Fäden.

Neben dem Gefängnis „Newgate“, in dem Macheath einsitzt, ist ein nahegelegenes „Etablissement“ der zweite soziale Abgrund, der zum Bühnenbild wird.

Allerlei Gauner und Dirnen bieten hier den Hintergrund, vor dem über das Schicksal von Macheath verhandelt wird. (Vor allem Emil Jackel und Jan Wittmer vermitteln ein liebevoll-authentisches Bild von „anständigen“ Kleinkriminellen.) Ms. Diana, Chefin des Etablissements, (herrlich Frank Hormesch und Anna Nosbüsch) ist stets um das Wohl ihrer „Mädchen“ und natürlich das von Macheath bemüht.

Die zahlreichen Lieder in den Umbauphasen (Keyboard: Rolf Dohm; Saxophon: Raphaela Müller) – professionell und routiniert vorgetragen von Verena Otten, gerne auch im Marlene-Dietrich-Look – lassen immer wieder die literarische Herkunft des Stückes aus der barocken Opernwelt durchscheinen. Ganz im Sinne des Theaters des 18. Jahrhunderts darf das Publikum über das Schicksal von Macheath entscheiden: Sehr zu seinem Leidwesen; sähe er sich doch lieber zwischen zwei Ästen als zwischen zwei Frauen hängen. Heiter und rasant das Ganze, und am Ende ein Macheath, „…dem man nichts beweisen kann“.

Impressionen der Aufführungen